Pester Lloyd, 13-19. April 2005, Ausgabe 15/2005

Fenster in die Vergangenheit

Aquincum mit dem Kronoskop entdecken - Wenn Geschichte zum Leben erwacht

Im 1. Jahrhundert n. Chr. eroberten die Römer das damalige Pannonische Reich und gründeteten im heutigen Óbuda, unweit des Flórián tér, eine Bürgerstadt mit dem Namen Aquincum. In unseren Tagen stehen hier nur noch deren Ruinen . wie die alten Römer (im 2. und 3. Jahrhundert n. Chr. waren es bereits über 30.000 Menschen) hier gelebt hatten, ist nur sehr schwer vorstellbar. Das soll sich nun ändern: Unter dem Namen .Kronoskop. hat das Forschungsinstitut für Computertechnik und Automatisierung der Ungarischen Akademie der Wissenschaften (SZTAKI) für das Museum in Aquincum ein Gerät entwickelt, mit dem man in die Vergangenheit schauen kann. In dem auf einem Gerüst stehenden, einem Fernrohr ähnelnden Visier erscheinen an der Stelle der heutigen Ruinen die mit Computer rekonstruierten mittelalterlichen Gebäude. Die Entwickler planen . zunächst mit der Unterstützung der EU, dann auf geschäftlicher Basis . in Zukunft ähnliche Geräte in Rom, Athen und anderen Orten aufstellen.

In Archäologenkreisen diskutierte man schon lange darüber, wie man die anhand der Ruinen vorgestellten Gebäude dem Publikum präsentieren sollte. Gemälde, in Vitrinen eingeschlossene Modelle oder auf dem Bildschirm vorgestellte Computeranimationen haben keinen direkten Kontakt mehr zum Schauplatz; Maßstab und Perspektive sind weit von der Realität entfernt. Alles neu aufbauen? Obwohl diese Methode oft verwendet wird (zum Beispiel in Aquincums österreichischer Partnerstadt Carnuntum), ist es ein sehr kostspieliges und aus fachlicher Sicht risikoreiches Unterfangen. Die Authentizität wird von niemandem garantiert, die im Original verwendeten Materialien und Technologien kennt man nicht mehr und eine fehlgeschlagene Konstruktion würde auch die ursprünglichen Ruinen verstecken. Die Nachfrage ist jedoch groß . die Besucher der Ruinen begnügen sich zurecht nicht mit kniehohen Mauern, weil sie sich die einst dort stehenden Häuser nicht oder nur schwer vorstellen können.

Das SZTAKI benutzte im Wesentlichen Mittel der virtuellen Realität. Der Besucher muss aber keine teuren, empfindlichen und komplizierten Geräte auf seinen Kopf binden (wie zum Beispiel im Falle einer Videobrille), es reicht, wenn er beim Spaziergang im Ruinengarten an einem Kronoskop stoppt und in das Gerät schaut. Mit dem Visier, das auf einer glänzenden Metallsäule angebracht ist, kann er sich wie mit einem Periskop umschauen und all das gründlich betrachten, was ihn interessiert. Das Erlebnis ist schwer mit Worten zu beschreiben. Auf dem dreidimensional wirkenden Bild vermischen sich Gegenwart und Vergangenheit, Vorstellung und Realität.

Ein Teil des Bildes wird vom bekannten Panorama . die Umgebung des Ruinengartens mit seinen Wegen und Bäumen . eingenommen. An den Stellen der wichtigsten Ruinen und Grundmauern erscheinen aber die mehrere Tausend Jahre alten Gebäude, wird die auferstandene Vergangenheit lebendig. Jede Mauer, jede Säule und jeder Fensterrahmen ist mit photorealistischer Ausführlichkeit ausgearbeitet. Die Realitätsnähe wird auch dadurch gesteigert, dass im Bild . ebenso wie in der Wirklichkeit . die Sonne in die selbe Richtung scheint; die virtuellen Gebäude werfen einen Schatten auf einander und auf ihre Umgebung. Alles erscheint an seinem Platz, in seiner richtigen Größe und in der richtigen Entfernung, so, als wären sie tatsächlich wieder aufgebaut worden. Man muss sich das oftmals nur sehr schwer Vorstellbare nun nicht mehr vorstellen . es steht da.

Die Möglichkeit für diese Entwicklung ergab sich durch das Alfa-Programm, in dessen Rahmen die ungarische Regierung im vergangenen Jahr etwa eine Milliarde Forint für die Modernisierung von Museen aufgewandt hatte. Das SZTAKI bewarb sich zusammen mit der hiesigen Vertretung der US-amerikanischen Silicon Graphics . und gewann. Sie verwirklichten dann innerhalb eines halben Jahres das Projekt. Die idealen Plätze der Kronoskope wurden von den Leitern des Museums nach archäologischen Gesichtspunkten ausgewählt. In der ersten Etappe wurde die Aufstellung von zwei Geräten beschlossen. Das eine befindet sich neben dem alten Hauptgebäude des Museums, wo man eine gute Aussicht auf das ehemalige öffentliche Bad, auf den Markt und auf die Handwerkshäuser hat. Das andere steht neben der Freilichtbühne, von wo aus man das Collegium, das große Wohnhaus sowie das Mithras Heiligtum sehen kann.

Das Kronoskop selbst ist ein völlig neues, zum Patent angemeldetes technisches Gerät. Das glänzende Gehäuse aus Edelstahl muss jedem Wetter standhalten, da es das ganze Jahr über der jeweiligen Witterung ausgesetzt ist. Der Kopfteil ist mit Hilfe eines Gegengewichts leicht mit der Hand zu bewegen, große Menschen, Kinder und Behinderte können ihn problemlos auf ihre Augenhöhe einstellen. Das Visier enthält Mikrobildschirme und ein optisches System und ist darüber hinaus mit einem Sensor ausgestattet, der jede Drehung registriert, so dass die Bildschirme immer das aktuelle, in der Richtung des Visiers liegende Bild zeigen können.

Die Mikrobildschirme erhalten das Videosignal aus dem Zentralcomputer des Museums. Die Software kombiniert auf eine besondere, bislang noch nirgendwo angewandte Weise die Fototechnik mit der Computertechnologie. Ein weiterer wichtiger Bestandteil des Systems ist ein Instrument, das auf dem Dach angebracht wurde, um Sonnenschein und Schatten zu messen; die Signale werden vom Computer ausgewertet, die Ergebnisse bei der Darstellung der Gebäude einkalkuliert. Aus dem Inneren des Kronoskops ertönt leise Musik, die zeitweise den mutmaßlichen Ton der in Aquincum gefundenen römischen Wasserorgel heraufzubeschwören versucht.

Die Kronoskope werden nach der Eröffnung der Saison, ab dem 15. April, im Ruinenpark von Aquincum zu sehen und auszuprobieren sein. Wagen auch Sie einen Blick in die Vergangenheit...

Eszter Bolla

Aquincumi Múzeum
Szentendrei út 139,
1031 Budapest